Wasser und Engelberg

1. Wasser, eine spannungsvolle Beziehung

Auch wenn Engelberg keine berühmten Seen und bekannten Badestrände aufweist, so ist seine Geschichte doch eng mit Wasser verknüpft. Die Talbildung mit der Erosion durch Gewässer und Gletscher war essentiell. Die erste Siedlung mit dem Kloster wäre ohne ganzjährig fließende Gewässer nicht denkbar gewesen. Die Setzung des Klosters über dem Talboden aber in unmittelbarer Nähe zum Erlenbach in der Wetti und dem Dorfbach bei der Mühle zeigen, dass damals die lokalen Gewässer die Standortwahl entscheidend prägten. Die Legende der Adelhelmsquelle zeigt die Wichtigkeit des Wassers bei der Klostergründung.

Die Geschichte des Wassers ist in Engelberg vom Kampf um die Zähmung und Nutzung des Wassers geprägt – Überschwemmungen, Rutsche, Lawinen, Verbauungen, die Wasserversorgung und die Energiegewinnung sind nur einige Aspekte aus dieser spannenden Geschichte.

Daneben gibt es aber auch eine Geschichte des Wassers, die weniger von Kampf und praktischem Nutzen geprägt ist, sondern von der Suche nach Gesundheit, Erholung und Erbauung.

Dieser Aspekt erscheint modern und wenig ergiebig. Nur sind wir überzeugt, dass unsere Gewässer mehr sind und vor allem mehr Potenzial aufweisen, welches positiv genutzt werden kann, denn die Anziehungskraft von Gewässern ist auf uns Menschen groß und vielfältig. Dies hat sowohl biologische als auch psychologische Wurzeln. Gewässer wie Flüsse, Seen oder in unserem Fall sogar kleine Bäche üben oft eine beruhigende und positive Wirkung auf uns Menschen aus. Wir nehmen Gewässer und Uferlandschaften deshalb als angenehm und positiv auf.

Weshalb Gewässer als angenehme Umgebung wahrgenommen werden, hat viele Gründe:

2. Biologische und evolutionäre Gründe:

  • Wasser als Lebensquell: Wasser ist für das Überleben essentiell. In der Geschichte der Menschheit waren Gewässer eine zentrale Ressource für Nahrung, Trinkwasser, Transport und Landwirtschaft. Der menschliche Drang, sich in der Nähe von Wasser aufzuhalten, könnte evolutionär bedingt sein, da es Sicherheit und Versorgung symbolisiert.
  • Wasser als Garant für Sicherheit und Nahrung: Menschengruppen lebten und leben meist in der Nähe von Wasser, weil es Nahrung in Form von Fischen und anderen Tieren bietet und fruchtbares Land verfügbar ist. Diese Instinkte könnten in uns noch vorhanden sein.
  • Die sogenannte Biophilie-Hypothese: Die der Biologe E.O. Wilson entwickelt hat, beschreibt die angeborene Neigung des Menschen, sich von natürlichen Umgebungen, insbesondere von Wasser, angezogen zu fühlen. Aus evolutionärer Sicht war Wasser für das Überleben von entscheidender Bedeutung: Es war die Grundlage für Nahrung, Hygiene und Landwirtschaft. Menschen, die sich in der Nähe von Gewässern aufhielten, hatten wahrscheinlich einen Überlebensvorteil.

3. Psychologische Effekte: Stressabbau und Entspannung

Der Anblick von Wasser oder das Rauschen von Wellen wirkt beruhigend auf das Gehirn. Wasser kann uns helfen, zur Ruhe zu kommen und den Stress des Alltags abzubauen. Untersuchungen zeigen, dass der Aufenthalt in der Nähe von Gewässern die Produktion von Stresshormonen wie Cortisol reduziert und positive Gefühle fördert. Wasseroberflächen wie Seen oder Meere bieten oft einen offenen, weiten Horizont, der im Kontrast zur Reizüberflutung urbaner Umgebungen steht. Dieser Kontrast kann ein Gefühl von Freiheit und Ruhe vermitteln. Dieser Effekt kommt bei uns in Engelberg nur sehr beschränkt zum Tragen, da dem unser geschlossener Talkessel entgegensteht. Dieser wiederum kann aber ebenfalls positiv wirken, da er als Refugium Schutz und Rückzug vermitteln kann.

4. Temperatur und Luftqualität

Wasser wirkt temperaturregulierend. In der Nähe von Gewässern ist es häufig kühler, was besonders in heißen Klimazonen angenehm ist. Zudem sorgt die Luftfeuchtigkeit in der Nähe von Gewässern für frische, feuchte Luft, die oft als angenehmer empfunden wird als die trockene und kontaminierte Luft in der Siedlung selbst. Man denke nur an die erfrischende Wirkung, welche die Aaschlucht, die Sieben Quellen oder der Professorenweg an heißen Sommertagen entwickeln können.

5. Erinnerungen und symbolische Bedeutung

Für viele Menschen hat Wasser eine emotionale oder symbolische Bedeutung. Es kann mit Urlaub, Entspannung oder glücklichen Kindheitserinnerungen assoziiert werden. Gewässer haben in verschiedenen Kulturen und Religionen oft auch eine spirituelle Bedeutung, zum Beispiel als Symbol der Reinigung, Erneuerung oder des Lebens. Dieser und viele der anderen hier aufgezählten Aspekte werden sich kaum direkt bewerben oder gar bewirtschaften lassen, dennoch sollten sie als unterschwellige Faktoren nicht außer Acht gelassen werden.

6. Kulturelle und ästhetische Gründe:

Die positive Wahrnehmung von Gewässern und Ufern ist nicht nur biologisch und psychologisch begründet, sondern auch tief in kulturellen und ästhetischen Traditionen verwurzelt. Wasser und Ufer haben in vielen Kulturen eine symbolische und ästhetische Bedeutung, die unsere heutige Wertschätzung stark prägt. Nachfolgend einige zentrale kulturelle und ästhetische Gründe, warum Menschen die Nähe zum Wasser als angenehm und erstrebenswert empfinden:

6.1 Symbolik des Wassers in verschiedenen Kulturen

Wasser ist in vielen Kulturen und Religionen ein mächtiges Symbol für Leben, Reinigung und Erneuerung. Quellen, Flüsse, Seen und Meere werden oft als Ursprungsquelle des Lebens betrachtet. Zum Beispiel:

  • Christentum: Wasser symbolisiert Reinigung und neues Leben, was sich im Ritual der Taufe widerspiegelt.
  • Hinduismus: Der Fluss Ganges gilt als heilig und wird als Symbol göttlicher Reinheit und Erlösung betrachtet.
  • Daoismus: Wasser wird als Sinnbild für Flexibilität und Anpassungsfähigkeit verstanden, da es sich jeder Form anpasst und gleichzeitig kraftvoll und unaufhaltsam ist.

Diese tief verwurzelten spirituellen und symbolischen Bedeutungen tragen zur Wertschätzung von Wasser in vielen Kulturen bei.

6.2 Ästhetik der Weite und Unendlichkeit

Gewässer bieten oft einen weiten Horizont oder eine scheinbar unendliche Weite, die dem Betrachter ein Gefühl von Freiheit, Offenheit und unendlichen Möglichkeiten gibt. Ästhetisch betrachtet, schafft diese Weite Raum für Kontemplation und Reflexion, was besonders in der Kunst und Literatur geschätzt wird. Der Blick über das Meer oder einen ruhigen See hat oft eine beruhigende, meditative Wirkung.

In vielen klassischen Landschaftsgemälden wird Wasser als zentrales Element verwendet, um Raum, Tiefe und Perspektive zu schaffen. Künstler wie William Turner oder Claude Monet nutzten Gewässer als Hauptmotiv, um Licht, Bewegung und Atmosphäre darzustellen.

6.3 Ästhetik geschlossener Landschaften

Dem oben Gesagten steht der Reiz begrenzter und überschaubarer Räume gegenüber, welcher sich in den Parkgestaltungen des 18. und 19. Jahrhunderts mit Hecken, Wäldern, Grotten, Eremitagen und gestalteten Lichtungen zeigt.

In der darstellenden Kunst kommt in Waldszenen oder den dramatischen Gebirgsszenen des 18. und 19 die Ästhetik dunkler Lichtungen, enger Täler und Gletscherlandschaften zum Tragen. In der Darstellung Engelbergs beispielsweise durch die Bilder Caspar Wolfs.

6.4 Romantische und literarische Bedeutung

Gewässer spielen in der Romantik und der Literatur eine zentrale Rolle. Romantische Dichter und Künstler wie Goethe, Shelley oder Wordsworth nutzten Flüsse, Seen und Meere als Symbole für innere Zustände – Sehnsucht, Einsamkeit, Freiheit oder den Wunsch nach Transzendenz. Das Meer wurde zum Symbol der unendlichen Möglichkeiten und des Unbekannten, aber auch der existenziellen Melancholie.

Dieses romantische Erbe prägt bis heute unsere Vorstellung von Gewässern als Orte der Inspiration und Selbstreflexion.

6.5 Erholungsorte und Tourismus

Seit dem 19. Jahrhundert entwickelten sich Küstenstädte und Seebäder zu beliebten Erholungsorten. Die Nähe zum Wasser wurde als gesundheitsfördernd angesehen, insbesondere in der Kur- und Bäderkultur. Das Meer und große Seen wurden zu Symbolen von Luxus und Freizeit. Diese kulturelle Prägung beeinflusst auch heute noch die Beliebtheit von Urlaubsorten in der Nähe von Wasser.

Auch in der heutigen Zeit suchen Menschen an Stränden, Flüssen oder Seen Erholung und Entspannung, was das Wasser zu einem Symbol für Gesundheit und Lebensqualität macht.

Hier in Engelberg gab es ebenfalls eine Bäderkultur, die sich auf Kaltwasserkuren, das Reizklima und ähnliches konzentrierte. Nur führte die Schönheit der Landschaft ab Mitte des 19. Jahrhunderts hier und in anderen Kurorten dazu, dass sich neben dem Kurbetrieb der Erholungsurlaub und der zweckfreie Tourismus entwickelten. Damit der zweckfreie und vor allem repräsentative Tourismus in Engelberg funktionieren konnte, musste der Talboden an dessen Bedürfnisse angepasst werden, was dann mit einer einmaligen und faszinierenden Konfektionierung der Landschaft einherging. Die Gewässer und die Nähe zum Wasser spielten dabei eine große Rolle. Ausflugsziele wie der Wasserfall, die Sieben Quellen, das Eienwäldli oder die Bänklialp waren durch die Gewässer oder die Nähe zu diesen geprägt. Auch die künstlich angelegten Seen, Teiche und Springbrunnen der Hotelparks gehören in diese Aufzählung. Diese Konfektionierung der Landschaft in kleinteilige Erlebnisorte könnte ein Ansatz für die Attraktivierung der Erlebniswelt im und ums Dorf sein.

6.6 Ästhetische Schönheit und Harmonie

In der Kunst und Architektur haben Wasserlandschaften eine besondere Bedeutung. Viele Gartenanlagen, wie die Versailler Gärten oder die traditionellen japanischen Gärten, integrieren Wasser als ästhetisches Element, das Ruhe, Ausgewogenheit und Harmonie symbolisiert. Wasser spiegelt die umgebende Landschaft und verstärkt dadurch die Schönheit der Umgebung.

Auch in der modernen Architektur und der Stadtplanung wird die Nähe zu Gewässern häufig als wertsteigernd angesehen. Wohnungen oder Gebäude mit Blick aufs Wasser gelten als luxuriös und besonders begehrt. Die ästhetische Bedeutung der Wasserlandschaften zeigte sich in Engelberg ab der Einführung der Hochdruckwasserversorgung in den vielen Springbrunnen, Teichen und Bächlein, die in den Hotelparks angelegt worden sind.

Das Kloster nutzte das Tal der Sieben Quellen als Teil seines englischen Gartens oder seiner ornamented Farm, die sich über Ochsenmatt, den Lusthaushubel zu den Sieben Quellen erstreckte und den die Mönche mit Besuchern gerne begingen. Diese Spaziergänge fanden dann Eingang in ihre Reisebeschreibungen von Engelberg.

Am schönsten beschreibt die Sieben Quellen um 1772 Pfarrer Hans Konrad Füssli, ein ansonsten eher nüchterner Betrachter seiner Umwelt:

“Dieser Bach ist in seinem Ursprung mit Gebüsch bewachsen und auf allen Seiten mit Matten umgeben: Hätten Orpheus und Theocritus in dieser Gegend gewohnt, so würde dieser Bach vor mehr als 2000 Jahren besungen und die darum wohnenden Nayaden gepriesen worden sein.”

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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7. Fazit

Die positive Wahrnehmung von Gewässern und Ufern hat tiefe kulturelle und ästhetische Wurzeln, die über Jahrtausende entwickelt wurden. Wasser symbolisiert in vielen Kulturen Leben, Wandelbarkeit, Freiheit, Erneuerung und Schönheit und wird ästhetisch als Quelle von Ruhe und Harmonie geschätzt.

Ob als spirituelles Symbol, romantisches Motiv oder touristisches Highlight – Wasser ist tief in unserer kulturellen Psyche verankert. Um es als «hypes Lifestyleprodukt» zu vermarkten, eignen sich unser Wasser und unsere Gewässer wahrscheinlich weniger. Wenn wir es aber schaffen, unsere Gewässer sorgsam aus dem «Siedlungsbrei» und den «Allerweltsuferpromenaden» herauszuarbeiten, dann hat Wasser, und haben vor allem unsere Gewässer mit ihren mittelbaren und unmittelbaren Uferbereichen, ein großes Potenzial, um Leute anzuziehen und zum Verweilen einzuladen. Dies funktioniert bereits heute auf kurzen Uferabschnitten, wie zurzeit an den drei kleinen Buchten, unterhalb der Bänklialp, am Professorenweg zu sehen ist.

Langer Rede kurzer Sinn: Der Weg ist das Ziel und er lässt sich trefflich etappieren.